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Kahnbeinfraktur (Fraktur des Os scaphoideum, syn.)

Definition

Das Kahnbein ist ein Handwurzelknochen, der in die gelenkige Achse des Daumenstrahls integriert ist und von der Seite betrachtet einem Schiff (Kahn) ähnelt. Das Kahnbein (Skaphoid) ist zwischen Speiche und den beiden Handwurzelknochen großes und kleines Vieleckbein (Os trapezium und trapezoideum) eingebettet. Es liegt dort schräg, in einem ungefähren Winkel von 45° in allen drei Raumebenen. Das ist der Grund, warum sich das Kahnbein bei der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) so schlecht durch die Röntgenuntersuchung darstellen lässt und häufig die frische Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) übersehen wird. Am körpernahen Ende des Kahnbeines grenzt dieses an das Mondbein (Os lunatum). Mit diesem ist es durch eine wichtige, sehr kurze aber auch sehr straffe Bandverbindung verbunden, mit dem SL-Band (skapholunäres Band). Dieses Band ist wie im Knie das Kreuzband ein wichtiger Stabilisator. Dies habe ich in einem anderen Kapitel beschrieben (SLD, syn. skapholunäre Dissoziation).

Das Kahnbein wird entlang seiner Längsachse in das körpernahe (proximale), mittlere und körperferne (distale) Drittel eigeteilt. Dies ist wichtig für die Einteilung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur). Für die Entscheidung zur Behandlung wird dann noch in stabile und instabile Kahnbeinfrakturen (Skaphoidfrakturen) unterteilt.

Eine weitere Besonderheit des Kahnbeins ist seine Durchblutung. Diese erfolgt nämlich in den häufigsten Fällen rückwärts, d. h. die ernährenden Gefäße treten von körperfern (distal) in den Knochen ein. Dies ist insofern problematisch, da für die Knochenbruchheilung die Durchblutung des Knochens eine wichtige Rolle spielt. Das bedeutet, dass die proximalen (körpernahen) Kahnbeinfrakturen (Skaphoidfrakturen) auf Grund dieser schlechten Durchblutung zu den am schlechtesten heilenden Brüchen zählen und somit eigentlich immer operativ stabilisiert werden müssen.

Gelegentlich wird die Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) noch als „Navicularefraktur“ bezeichnet. Dies sollte heute nicht mehr so erfolgen, da man sich international geeinigt hat, dass der Begriff „Naviculare“ in der medizinischen Nomenklatur dem Kahnbein des Fußes vorbehalten sein soll.

Auch in der Behandlung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) haben sich Änderungen ergeben. Früher war eine 6-12wöchige Ruhigstellung im Oberarmgips mit Einschluss des Daumens die Therapie der Wahl, da eine geeignete Möglichkeit der operativen Stabilisierung fehlte. Dies ist Geschichte der Medizin!

Die Einführung der sog. Herbert-Schraube Ende der 70er Jahre, einer, nach dem australischen Unfallchirurgen Timothy Herbert benannten, doppelgewindigen Spezialschraube, hat die Behandlung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) revolutioniert. Durch das eindrehen der Herbert-Schraube (HBS), die Kompression auf die Frakturflächen erzeugt, wurde die Behandlung einfacher und sicherer. Diese Implantate sind inzwischen perfektioniert. Sie sind kanüliert, können also über einen Draht in das Kahnbein eingedreht werden. Diese Schrauben sind aus amagnetischem Titan, machen dadurch weiterhin MRT-Untersuchungen möglich. Die Schrauben sind selbstbohrend und selbstschneidend, sodass ein vorheriges Aufbohren des Kahnbeins unnötig wird.

Durch Timothy Herbert wurde auch eine praktikable Einteilung der Frakturformen der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) entwickelt. Im Laufe der Jahre kam es durch enorme technische Verbesserungen der Computertomographie zu einer viel besseren Bilddarstellung. Daher konnte diese Einteilung Anfang des Jahrtausends durch H. Krimmer zusammen mit T. Herbert anhand von CT-Kriterien verbessert werden und bietet heute die Leitschnur für die konservative oder operative Behandlung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur).

Ursachen

Die Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) ist mit Abstand die häufigste Fraktur der Handwurzel und macht etwa 70° der knöchernen Verletzungen der Handwurzel aus. Meistens sind junge Männer davon betroffen. Der Unfallmechanismus ist meistens der Sturz auf die maximal gestreckte Hand, die dabei nach daumenseitig abgewinkelt ist. Dies sind Verletzungen durch Stürze beim Sport (Fußball, Handball, Inline-Skaten, Snowboard), mit Fahrrad und Motorrad oder Stürze aus großer Höhe (Leiter, Gerüst). Nicht selten ist jedoch auch mal ein hart geschossener Fußball die Ursache, der den Torwart an der Hand trifft und diese umknickt.

Diagnostik

Bereits die Schilderung des Unfalles lenkt den Verdacht in die Richtung einer Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur). Es bestehen bei einer Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) Schmerzen und eine mehr oder auch weniger ausgeprägte Schwellung daumenseitig am Handgelenk. Die Bewegung des Handgelenkes ist schmerzbedingt eingeschränkt. Bei der klinischen Untersuchung lässt sich, je nach Lage der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) im körpernahen, mittleren oder körperfernen Drittel ein Druckschmerz auslösen. Dieser Druckschmerz findet sich dann am streckseitigen, speichenseitigen (in der sog. Tabatiere, dort wo der Schnupftabak eingestreut wird) oder beugeseitigen Handgelenk. Wichtige Basis der apparativen Diagnostik ist die Röntgen-Untersuchung des Handgelenkes in zwei Ebenen und die sog. Stecher-Aufnahme, bei der das Handgelenk in maximaler Abwinkelung nach kleinfingerseitig geröntgt wird. Durch diese Bewegung des Handgelenkes kommt es zu einer Streckung (Extension) des Kahnbeins. Dadurch stellt sich dieses besser im Röntgenbild dar. Bestehen nun weiter Zweifel, so sollte nicht gezögert werden und eine CT (Computertomographie) des Kahnbeins veranlasst werden. Da die CT-Untersuchung wenig Zeit in Anspruch nimmt, ist diese meist ohne Terminvorlauf innerhalb weniger Tage durchzuführen. Wichtig ist, dass bei der Bearbeitung des im CT erhobenen Datensatzes das Kahnbein in seiner schräg-sagittalen Ebene dargestellt wird, da nur dadurch eine korrekte Einteilung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) erfolgen kann.

Eine MRT (Kernspintomographie) ist bei der Diagnosestellung der frischen Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) NICHT sinnvoll und NICHT hilfreich. Es vergeht in der Regel wertvolle Zeit bis die Untersuchung erfolgt und es ist keine differenzierte Beurteilung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) möglich, geschweige denn eine Therapieplanung. Die MRT bleibt in der Diagnostik des Kahnbeins speziellen Fragestellungen vorbehalten (siehe Kapitel Skaphoid-Pseudarthrose).
Auch das sog. „Kahnbein-Quartett“, also die Röntgenuntersuchung des Handgelenkes in vier Ebenen hat sich nicht als hilfreich erwiesen, sodass darauf verzichtet werden kann.

Therapie

distale (körperferne) Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur)
Hierbei handelt es sich in der Mehrzahl um stabile Brüche des beugeseitig gelegenen sog. Tuberkulums, die in einem gut durchbluteten Bereich liegen und unter konservativer Behandlung in einer Unterarmschiene mit Einschluss des Daumengrundgelenkes 4-6 Wochen ausheilen.

Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) im mittleren Drittel
Diese Frakturen stellen die größte Gruppe der Kahnbeinfrakturen dar. Hier wird zwischen stabilen und instabilen Frakturen unterschieden. Zur Gruppe der stabilen Frakturen zählen inkomplette oder gänzlich unverschobene Kahnbeinfrakturen. Die instabilen Frakturen sind diejenigen, wo entweder schon eine beginnende Verschiebung (Spaltbildung) oder eine Trümmerzone vorliegen. Die Unterscheidung, um was für einen Typ Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) es sich handelt, kann NUR in einer korrekt ausgeführten Computertomographie gestellt werden.

Die stabile Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) kann konservativ in einer Unterarmschiene mit Daumeneinschluss für 6 Wochen behandelt werden. In diesen Fällen kann aber alternativ auch eine sog. perkutane Verschraubung durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um ein minimalinvasives Operationsverfahren bei dem über einen kleinen Schnitt an der Basis des Daumenballens unter Röntgen-Durchleuchtung ein Führungsdraht zentral in das Kahnbein eingebohrt wird. Darüber kann dann eine kanülierte HBS eingebracht werden. Durch das minimalinvasive Vorgehen werden die palmaren wichtigen Handgelenksbänder geschont und es kann meist sofort bzw. nach kurzer Ruhigstellung das Handgelenk frei gegeben werden. Dadurch ist eine schnelle Rückkehr zur Arbeit oder Sport möglich.

Bei der instabilen Kahnbeinfraktur kann keine konservative Behandlung erfolgen. Hier kommt es trotz Ruhigstellung durch die erheblichen Kräfte, die schon durch die normale Muskelvorspannung der Unterarmmuskulatur in der Handwurzel wirken, zu einer weiteren Verschiebung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur). Auch bei der instabilen Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) ist oft eine minimalinvasive Operation möglich. Ist es jedoch schon zu einer Verschiebung gekommen, so muss die Einrichtung offen erfolgen. Die Ruhigstellung nach offenen Einrichtungen beträgt auch 6 Wochen, damit die palmaren Bänder heilen können.

proximale (körpernahe) Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur)
Hierbei handelt es sich um die eher seltenen, häufig aber übersehnen Frakturen des körpernahen Drittels. Die Frakturlinie ist auf den ersten Röntgen-Aufnahmen selten zu erkennen und wird daher häufig als Verstauchung abgetan. Erst später, wenn sich eine Pseudarthrose (Falschgelenk) gebildet hat bildet sich diese Form der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) im Röntgenbild ab. Dann ist aber häufig schon die Durchblutung des kleinen körpernahen Fragmentes gestört oder unwiederbringlich verloren. Daher ist beim geringsten Verdacht auf eine proximale Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) die Indikation zur Computertomographie gegeben. Die operative Behandlung ist bei diesem Frakturtyp immer indiziert. Diese erfolgt über einen handrückenseitigen Zugang und wird mit einer sog. Mini-Herbert-Schraube durchgeführt, die ebenfalls unter Röntgen-Durchleuchtung über einen Draht unter Sicht eingedreht wird.
Anschließend ist auch hier eine 4-6wöchige Ruhigstellung erforderlich.

Fazit

Die Folge einer nicht verheilten Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) ist unweigerlich der karpale Kollaps (Zusammenbruch des Handwurzelgefüges), der dann zur Pseudarthrose (Falschgelenkbildung) des Kahnbeins und später zur schmerzhaften Arthrose (SNAC-Wrist, syn. Scaphoid Nonunion Advanced Collaps) führt. Da die operative Versorgung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) um ein vielfaches einfacher ist als die Behandlung der Folgen, sollte hier, gerade bei jungen Menschen großzügig die Indikation zur Operation gestellt werden.

Insgesamt besteht ein großzügiges Zeitfenster bei der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur). Oft kommen meine Patienten erst nachdem bereits ein Zeitraum von manchmal einigen Wochen vergangen ist. Trotzdem sind diese Kahnbeinfrakturen dann immer noch gut zu behandeln.

Nach Operation und Ruhigstellung ist intensive Handtherapie erforderlich, trotzdem verbleibt häufig eine gewisse Bewegungseinschränkung des Handgelenkes.

Die operative Versorgung der Kahnbeinfraktur (Skaphoidfraktur) kann, da es sich meist um junge Patienten handelt, nahezu immer ambulant erfolgen.

 

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